ÜBERSETZUNG

 

Zwei Malerinnen

Texthintergrund

Originaltext: Irina Baldano

Übersetzung: Liudmila Shtegert

 

Isabella und Anna Chulkova, russische Malerinnen, leben und arbeiten in Köln. Sie sind Vertreterinnen des neorealistischen Stils, den sie im Geist der neuen Leipziger Schule verstanden haben wollen.

 

Der Realismus in Bellas Interpretation stützt sich auf die russische Malschule. Diese Richtung bestimmte ihre Malerei in der zweiten Hälfte der 1980er bis Mitte 1990er Jahre und  war somit den Vertretern der jungen Generation des deutschen Neurealismus einen Schritt voraus.

 

Man erinnert sich, dass die europäische Malerei eine Grundlage der russischen akademischen Malerei bildet, die aus West-Europa eingeladene Kunstlehrer, darunter viele Deutsche, Ende 18. Jahrhunderts mit nach Russland brachten. Nicht zu vergessen, dass die sowjetische Malerei „des harten Stils“ in den 1960-1970 Jahren (A. Mylnikov und T. Salahov) stark die deutsche Malerei in der DDR beeinflusste. Die beidseitige und langjährige Reflexion erkennt man in Bellas Malerei wieder.

 

Seit 1984 stellt Bella ihre Werke aus.  Zuerst in der Sowjetunion und seit 1996 in Deutschland. Von Anfang an hat sie in ihrer Malerei 2 Richtungen eingeschlagen: die abstrakte und die konkrete, figurative.

 

In ihrer Karriere änderte sie nicht nur einmal entschlossen ihren Malstil. Sie experimentiert gern mit verschiedenen Maltechniken. In der Logik ihrer Suche, in klar erkennbarer Kompositionsgestaltung, erkennt man die bekannte Charkower Schule für Kunst und Design wieder. Ganz besonders in der Männerportraitserie „Gesichter“ (2010), die neben der Ähnlichkeit auch die dokumentarische Realität widerspiegelt.

 

Die Bilderserie „Texthintergrund“ ist sehr wichtig für Bellas Werdegang als Künstlerin. Hier benutzt sie Textfragmente aus der Bibel, einen Teil eines Gedichts von Boris Ryzhiy, Phrasen aus dem Internet. Der Text wird als Relief auf die Leinwand aufgetragen und ist damit zweideutig: einerseits kündigt er das Thema an, andererseits ist er unter der Farbschicht der eigentliche Hintergrund, also ein „Texthintergrund“. Dieses Wortspielt spiegelt Bellas Selbstidentität als Ergebnis der Vereinigung zwei Kulturen und deren Einfluss auf ihr Leben und ihre Malerei wider.

 

Im Gegensatz zu Isabellas postmodernem Stil ist die Malerei ihrer jüngeren Schwester Anna eher emotional und intuitiv. Dabei ist sie selbständig in ihrer Wertung und Sichtweise der Welt. Mit dem Bild „Zeitfragmente“ beginnt sie eine große Bilderserie zum Thema „ Meer“. Sie realisiert dabei aber keine Landschaftsidee, sondern sie zeigt das Meer als eine Konzeptlösung des Zeitproblems.

 

Sie malt ein Bild aus 40 Teilen: die Zahl 40 symbolisiert die Hälfte des Menschenlebens und somit die Zeit den zurückgelegten Weg zu überdenken und zu analysieren. Andererseits ist das Wasser, das Meer, als Bild der Schnelllebigkeit der Zeit zu verstehen. 40 kleine abstrakte Teile, Puzzelteilen gleich, bilden eine große Leinwand, auf dem das funkende Meer den ganzen Raum einnimmt. Das weite Meer schafft eine Illusion vom Paradies auf Erden. Doch hinter dem Paradies lässt sich ein Drama vermuten. Das Bild beinhaltet ein Geheimnis. Anna lässt aber die Frage offen, was die sorglos badenden Menschen und die Geheimnisse des Meeres verbindet.

 

Die Serie „Nachtfahrt“ beginnt mit dem Portrait einer jungen Frau. Auf diese Weise kündigt Anna ihre Anwesenheit an. Man erkennt in den Bildern das Genre eines Reisetagebuchs, welches ihre Eindrücke von einer Nachtstadt widerspiegelt und den Betrachter in eine geheimnisvolle, fast gespenstische Atmosphäre der menschenleeren Straßen und des grellen Lichts der Schaufenster reißt.

 

Manchmal weisen die beiden Schwestern ähnliche Interessen und Ideen auf. Sie bringen das aber auf ganz verschiedene Art und Weise zum Ausdruck und vertreten damit verschiedene Stilrichtungen der modernen Malerei Deutschlands im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts.